Chancen der Gemeinwohl-Ökonomie

Christian Felber 0 Globalisierung Wirtschaft Wirtschaftswachstum

Christian Felber, österreichischer Philologe und Begründer der Reformbewegung „Gemeinwohl-Ökonomie“ spricht im Interview über die Grundidee des „Wirtschaftsmodells der Zukunft“ und ob es eine funktionierende Alternative zum kapitalistischen Wirtschaftsmodell sein kann.

Christian Felber steht in einem Hörsaal vor einer Präsentation und spricht. Foto: Hochschule Harz
Christian Felber ist der Begründer der Gemeinwohl-Ökonomie. Foto: Hochschule Harz

1. Gab es einen konkreten Auslöser für die Initiierung des Wirtschaftsmodells der Gemeinwohl-Ökonomie?

Auslöser war die Untersuchung des Werte-Widerspruchs zwischen der globalisierten Wirtschaft auf der einen Seite und unseren demokratischen Verfassungen auf der anderen.

Die von der Wirtschaftswissenschaft gepredigten Scheinwerte Eigennutzenmaximierung, Konkurrenzorientierung, Materialismus und grenzenloses Wachstum stehen in auffallendem Gegensatz zu universalen Beziehungs- und Verfassungswerten wie Menschenwürde, Solidarität, Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit oder Mitentscheidung. Die Gemeinwohl-Ökonomie ist der Versuch, die Marktwirtschaft an zeitlosen Grundwerten auszurichten.

2. Was ist die Grundideen der Gemeinwohl-Ökonomie?

Die Gemeinwohl-Ökonomie ist ein Wirtschaftsmodell, in dem alle wirtschaftlichen Tätigkeiten auf das Gemeinwohl ausgerichtet sind und auch daran gemessen werden. Der Erfolg einer Volkswirtschaft wird mit dem demokratisch komponierten Gemeinwohl-Produkt statt mit dem monetären Bruttoinlandsprodukt gemessen. Unternehmen erstellen eine davon abgeleitete Gemeinwohl-Bilanz: Je besser deren Ergebnis, desto geringere Steuern und Zinsen zahlen sie, sie erhalten Vorrang im öffentlichen Einkauf und freieren Zugang zum Weltmarkt – und umgekehrt: Je schlechter das Gemeinwohl-Bilanz-Ergebnis, desto schwieriger wird es auf allen Ebenen.

In der Gemeinwohl-Ökonomie stimmen die Gesetze des Marktes mit den Werten der Gesellschaft überein.

3. Wie wirken Gemeinwohl-Ökonomie und die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung zusammen?

Die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDG) sind so etwas wie ein Gemeinwohl-Produkt: 17 Ziele zur Verbesserung der Lebensqualität und Rechte aller Menschen. Der einzige Unterschied zu einem „echten“ Gemeinwohl-Produkt ist, dass die SDG „top down“ definiert und entschieden wurden – im Gegensatz zur bottum-up-Ansatz des Gemeinwohl-Produkts. So erklärt es sich auch, dass sich das Bruttoinlandsprodukt-Wachstum fataler Weise unter die SDG-Ziele gemischt hat. Alle anderen Ziele sind zu begrüßen. Auf Unternehmensebene gibt es einen Abgleich der SDG mit der Gemeinwohl-Bilanz: Sowohl anwendende Unternehmen als auch -Gemeinden berichten, dass die Gemeinwohl-Bilanz das ideale Instrument ist, die SDG lokal umzusetzen.

4. Welche Chancen, aber auch Herausforderungen birgt das Wirtschaftsmodell?

Ich beginne mit den Herausforderungen: Viele Menschen in den Industrieländern werden sich mit einer Verringerung des materiellen Güterwohlstandes oder innerem Wachstum und Reichtum als Alternative schwertun - die Mainstream-Wirtschaftswissenschaft wird Mühe haben, von ihrer Vorstellung des Homo oeconomicus abzulassen. Manche werden auch nicht damit einverstanden sein, dass es nur noch Millionäre, aber keine Milliardäre mehr geben wird. Und die Begrenzung der Größe und Macht transnationaler Konzerne wird eine Nagelprobe für die Demokratie.

Doch der Gewinn an Lebensqualität, Beziehungsqualität, Umweltqualität, Klimastabilität, Zeitwohlstand, Demokratie und Frieden sollten die Gesamtbilanz eindeutig im grünen Bereich ansiedeln. Die Welt wird sicherer, solidarischer, nachhaltiger und humaner. Das kann kein Bruttoinlandsprodukt der Welt leisten!

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