Frauen in der Wissenschaft

Prof. Dr. Elke Schüßler 0 17Ziele Faire Mode Geschlechtergerechtigkeit Wissenschaft

Jährlich ist am 11. Februar der Internationale Tag der Frauen und Mädchen in der Wissenschaft. Laut den Vereinten Nationen sind weniger als 30 Prozent der Menschen in der Wissenschaft weltweit weiblich. Wir haben den Tag zum Anlass genommen und mit Universitätsprofessorin Dr. Elke Schüßler gesprochen. Ihre Forschung beschäftigt sich unter anderem mit Nachhaltigkeit in globalen Lieferketten und neuen Formen der Arbeit.

In Ihrer Arbeit zeigt Dr. Schüßler, welche Rolle Politik, Unternehmen und Zivilgesellschaft nach dem Fabrikeinsturz von Rana Plaza einnahmen, um nachhaltige Konsum- und Produktionsbedingungen zu schaffen. Sind ein „Mindestpreis für Jeans“ oder der „Grüne Knopf“ eine nachhaltige Lösung gegen den anhaltenden „Fast Fashion“-Trend? Und wie können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele gemeinsam mit der Politik vorantreiben?

Das Portraitfoto zeigt Elke Schüßler.
Dr. Elke Schüßler, Professorin an der Johannes Kepler Universität Linz. Foto: Elke Schüßler

Engagement Global: Dr. Schüßler, was sind die Schwerpunkte Ihrer Forschung und welche Rolle spielen dabei die 17 Nachhaltigkeitsziele?

Dr. Schüßler: In meiner Forschung beschäftige ich mich mit Nachhaltigkeit in globalen Lieferketten, mit der transnationalen Klimapolitik, mit neuen Formen der Arbeit und Arbeitsstandards sowie mit kreativen Prozessen und Innovation. Dabei spielen gleich mehrere der 17 Nachhaltigkeitsziele eine Rolle. Globale Lieferketten in der Bekleidungsindustrie beispielsweise können einen Beitrag zur Reduktion von Armut und Hunger ebenso wie zur Gleichstellung der Geschlechter leisten. Gleichzeitig werden in der Bekleidungsproduktion häufig selbst Minimalarbeitsstandards unterschritten und die Umweltbelastung durch die Bekleidungsproduktion ist enorm.

Maßnahmen zur Verbesserung sind häufig an einzelnen Nachhaltigkeitszielen ausgerichtet, übersehen dabei aber die komplexen Zusammenhänge zwischen den unterschiedlichen Themenfeldern. Wieder anhand der Bekleidungsindustrie illustriert: Maßnahmen zur Verbesserung von Arbeitsbedingungen legitimieren womöglich gleichzeitig das wenig nachhaltige Produktions- und Konsumptionsmodell der „fast fashion“, was die Umwelt weiter belastet. Zum Adressieren solcher systemischen Probleme bedarf es interdisziplinäres, vernetztes Denken und grundlegende Innovationen. So fügen sich dann auch meine unterschiedlichen Forschungsgebiete zusammen.

Engagement Global: Sie haben unter anderem zu den Auswirkungen von Rana Plaza auf staatliche Maßnahmen in der Textilbranche geforscht. Was waren die wichtigsten Erkenntnisse?

Dr. Schüßler: Zunächst einmal ist es wichtig, zu betonen, dass nicht in erster Linie die Politik auf Rana Plaza reagiert hat, sondern vor allem die Unternehmen und die Zivilgesellschaft. Nach wie vor halten sich Regierungen mit sogenannten „harten Regulierungen“ von Handelsbeziehungen stark zurück und hoffen auf eine sogenannte Selbstregulierung seitens der Unternehmen, auch wenn es hier starke nationale Unterschiede gibt.

Die Forschung wie auch die Erfahrung haben aber gezeigt, dass eine solche Selbstregulierung nicht ausreicht, um Probleme mit Arbeits- und Umweltstandards in den Griff zu bekommen. Zum einen fehlen den meisten Unternehmen die Anreize hierfür, wenn weder der Staat konkrete Nachhaltigkeitsziele einfordert und mit Berichtspflichten untermauert, noch die Kundinnen und Kunden auf Ereignisse wie Rana Plaza reagieren und beispielsweise Transparenz über Produktionsbedingungen einfordern.

Zum anderen sind die Probleme nicht durch einzelne Unternehmen, sondern nur durch kollektives Handeln der Unternehmen, unterstützt durch Gewerkschaften und andere zivilgesellschaftliche Akteure sowie natürlich auch staatlicher Regulierung, zu lösen. Hier hat sich seit Rana Plaza einiges getan: Mit dem Brandschutzabkommen in Bangladesch wurde erstmalig ein Vertragswerk gemeinsam von ca. 200 Unternehmen sowie zwei Globalen Gewerkschaftsföderationen unterzeichnet, um kollektiv – und unter Einbindung der Arbeiterinnen- und Arbeitervertretung – das Problem der Gebäudesicherheit in Bangladesch anzugehen.

Hier hat wirklich ein Umdenken stattgefunden, was sich womöglich in weiteren kollektiven Maßnahmen niederschlagen wird. In Großbritannien und Australien wurde darüber hinaus mit dem „Modern Slavery Act“ eine wichtige rechtliche Grundlage für Transparenzanforderungen in Bezug auf Arbeitsstandards in globalen Lieferketten geschaffen.

 

Engagement Global: Wie können staatliche Maßnahmen in der Textilbranche das Konsumverhalten nachhaltig verändern?

Dr. Schüßler: Das Konsumverhalten ist und bleibt ein Graubereich von Regulierungsmaßnahmen, die nach Erkenntnissen unserer Forschung stark auf die Produktionsbedingungen fokussieren. Die Unternehmen fordern manchmal im Gespräch einen „Mindestpreis für eine Jeans“, der staatlich festgelegt werden sollte, um die Kundennachfrage nach immer günstigeren Ladenpreisen zu stoppen. So etwas steht aber nicht zur Debatte. Mit dem „Grünen Knopf“ versucht die deutsche Bundesregierung, mehr Transparenz für Konsumentinnen und Konsumenten zu schaffen. In der Praxis ist es aber sehr schwierig festzustellen, ob wirklich alle Produktionsschritte, die einem Produkt zugrunde liegen, nachhaltig sind, so dass die Gefahr des „greenwashings“ besteht. Wirksam wäre ein methodisch sauber durchgeführtes, weltweit einheitliches Ranking, in dem sich Konsumentinnen und Konsumenten über die Praktiken einzelner Unternehmen informieren können. Viel Potenzial hat außerdem die öffentliche Beschaffung. Wenn diese auf Nachhaltigkeit umgestellt wird, betrifft dies bereits einen recht großen Markt. Dies könnte Auswirkungen auf andere Marktsegmente haben und darüber hinaus Lerneffekte bei Unternehmen in der Lieferkette, aber auch bei Politikerinnen und Politikern erzielen.

 

Engagement Global: Wissenschaftliche Forschung ist eine Grundlage um die 17 Nachhaltigkeitsziele umsetzen zu können. Wie kann Forschung auch der Bevölkerung und der Politik zugänglicher gemacht werden?

Dr. Schüßler: Aus meiner Sicht helfen hier nur ein regelmäßiger Dialog und Austausch. Wissenschaft und Praxis sind zunächst unterschiedliche Systeme, in denen unterschiedliche Bewertungskriterien gelten. Das wissenschaftliche Publizieren ist durch den internationalen Wettbewerb und internationale Standards in den letzten Jahren deutlich anspruchsvoller und zeitaufwändiger geworden. Damit sind die Ergebnisse – nicht zuletzt auch durch proprietäre Geschäftsmodelle der Wissenschaftsverlage – der Praxis immer weniger zugänglich geworden.

Gleichzeitig besteht die Gefahr, den so und so schon hochgradig belasteten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern immer neue Verantwortlichkeiten und Zielvorgaben nach den Standards amerikanischer Top-Universitäten aufzubürden, für deren Erfüllung es hierzulande aber nicht die nötigen zeitlichen und finanziellen Ressourcen gibt. Professionelle Kommunikationsabteilungen seitens der Universitäten können hier eine wichtige Rolle dabei spielen, Forschungsergebnisse einer breiteren Öffentlichkeit zu vermitteln. Doch natürlich sollte sich jede Wissenschaftlerin und jeder Wissenschaftler auch die Zeit nehmen, mit Praxis, Politik und Öffentlichkeit zu sprechen. Bei qualitativ ausgerichteter Forschung passiert dies fast schon zwangsläufig, da hier die Daten nur durch einen intensiven Austausch und Kontakt mit den Forschungssubjekten erhoben werden.

 

Engagement Global: Konnten Sie Auswirkungen Ihrer Forschung auf politische Forderungen und die Arbeitswelt in der Textilbranche feststellen? Wenn ja, welcher Art?

Dr. Schüßler: Dafür ist es vielleicht noch zu früh, da unser Projekt noch nicht abgeschlossen ist. Wir erleben aber eine hohe Aufmerksamkeit seitens Politik und Gesellschaft an unseren Forschungsergebnissen und nutzen diese natürlich, um mit Entscheidungsträgerinnen und -trägern ins Gespräch zu kommen. Darüber hinaus bemühen wir uns aktiv um eine Dissemination unserer Forschungsergebnisse, indem wir beispielsweise Konferenzen und Stakeholder-Workshops in den jeweiligen am Projekt beteiligten Ländern organisieren oder unsere Ergebnisse im Rahmen bestehender Gesprächsrunden und Austauschforen präsentieren. Wir veröffentlichen Zwischenergebnisse in Form von „Discussion Papers“ auf unserer Projektwebseite und bemühen uns darüber hinaus, unsere wissenschaftlichen Publikationen „open access“ zur Verfügung zu stellen. Die weitere Auswertung unserer Daten sowie die Kommunikation unserer Erkenntnisse werden in den letzten sechs Monaten der Projektlaufzeit unsere Hauptaufgaben sein. 

 

Engagement Global: Was motiviert Sie persönlich für Ihre Forschungsarbeit und Ihr Engagement?

Dr. Schüßler: Meine Forschung ist entweder von empirischen Problemstellungen oder von theoretischen Fragestellungen angetrieben, beziehungsweise im Idealfall von beidem gleichzeitig. Gerade wenn es um die Nachhaltigkeitsziele geht, stehen aber natürlich zunächst komplexe empirische Phänomene im Vordergrund. Ich bin aber überzeugt davon, dass es gerade hier gute Theorien und systematische Forschung braucht, um Lösungen identifizieren und umsetzen zu können.

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