Rana Plaza Gedenktag: Fünf Jahre nach der Katastrophe

Anne Neumann 0 Armut Bangladesch Faire Mode Menschenrechte

Am 24. April jährt sich die Katastrophe von Rana Plaza zum fünften Mal. Beim Zusammenbruch des maroden Gebäudekomplexes in Bangladesch, in dem Textilfabriken untergebracht waren, starben am 24. April 2013 1.134 Menschen, mehr als 2.000 wurden verletzt. Der Einsturz brachte eine längst überfällige öffentliche Debatte über die Arbeitsbedingungen und Sicherheitsmängel in der Bekleidungsindustrie ins Rollen.

 
Die Einsturzstelle des Rana Plaza im Juli 2013 in Dhaka, Bangladesch. Foto: Gisela Burckhardt/FEMNET e.V.

Der Verein FEMNET e.V. setzt sich für die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte von Frauen weltweit ein, insbesondere für menschenwürdige, existenzsichernde und sozialgerechte Arbeitsbedingungen in der Bekleidungsindustrie.

Wir sprachen mit Anne Neumann, Projektreferentin bei FEMNET, über Veränderungen seit dem Unglück und die derzeitige Situation von Textilarbeiterinnen und Textilarbeitern in den Produktionsländern.

Engagement Global: Was hat sich nach dem Einsturz des Rana Plaza Gebäudes in der Textilbranche verändert?

Anne Neumann: Der Einsturz des Rana Plaza Gebäudes hat die katastrophalen Arbeitsbedingungen der Menschen, die hinter unserer Kleidung „versteckt“ sind, ins Licht der Öffentlichkeit gerückt. Immer mehr Konsumentinnen und Konsumenten, aber auch immer mehr Unternehmen wurde klar, dass es mit der üblichen Preis-Kosten-Abwärtsspirale nicht so weitergehen kann wie bisher. Auch politische Akteurinnen und Akteure wurden aktiver – beispielsweise hat Bundesentwicklungsminister Dr. Gerd Müller das Bündnis für nachhaltige Textilien ins Leben gerufen. Letztlich ist aus unserer Sicht besonders auf politischer Ebene aber leider zu wenig passiert. Ein besonders wichtiger Fortschritt war die Unterzeichnung des sogenannten Bangladesh Accords von mehr als 220 internationalen Bekleidungsunternehmen, die in Bangladesch produzieren lassen.

EG: Nach dem Einsturz haben viele internationale Unternehmen ein Abkommen unterschrieben, in dem sie sich zu mehr Brandschutz und Gebäudesicherheit in Bangladesch verpflichten. Das Abkommen läuft seit 2013 mit einer Laufzeit von fünf Jahren und läuft dieses Jahr aus. Wie geht es weiter nach dem ersten Abkommen? Welche Probleme sehen Sie auf dem Weg zu einem Folgeabkommen?

Packabteilung in einer Fabrik in Dhaka, Bangladesch. Die Frauen stehen oft länger als 10 Stunden am Tag, Foto: Gisela Burckhardt/FEMNET e.V.

AN: Dank des Bangladesh-Accords wurden bisher mehr als 1.600 Fabriken mit über zwei Millionen Beschäftigten überprüft. Die Untersuchungsberichte wurden erstmals transparent veröffentlicht und 130.000 Mängel identifiziert, von denen rund 84 Prozent beseitigt wurden.

Nach mehr als einjährigen Verhandlungen über die Weiterentwicklung des Accord-Abkommens konnte im Sommer 2017 das Folgeabkommen vereinbart werden. Mehr als 140 Unternehmen haben den so genannten Transition Accord bereits unterzeichnet. Aber viele Unternehmen, die den „alten“ Accord unterzeichnet haben, weigern sich nun, dem neuen Abkommen beizutreten. Das betrifft zum Beispiel Abercrombie & Fitch. Aber es gibt auch Unternehmen, die das alte Abkommen nie unterzeichnet haben und sich jetzt auch wieder weigern. Das trifft zum Beispiel auf das deutsche Unternehmen New Yorker zu.

Der neue Accord bezieht auch die Produktion von Heimtextilien, also nicht nur Bekleidung mit ein. Hier gilt es nun besonders die großen Hersteller dieser Produkte, wie beispielsweise IKEA, ganz neu zur Unterzeichnung zu bewegen.

Ein Problem ist auch, dass mit dem Accord wieder nur die Produktionskette des Nähens im Blickfeld ist. Unternehmen müssen ihr Engagement für gute Arbeitsbedingungen aber auch auf andere Stufen der Produktionskette, wie beispielsweise Weben oder Spinnen oder Rohstoffverarbeitung, ausweiten.

EG: FEMNET betreibt seit 2011 Bildungsarbeit an deutschen Hochschulen unter dem Motto „FairSchnitt – Studieren für eine sozial gerechte Modeindustrie“. Warum sind besonders Studierende als Zielgruppe wichtig?

AN: Wir richten uns besonders an Modestudiengänge, aber auch an Wirtschaftswissenschaften und Lehramtsstudiengänge. In Modestudiengängen werden die Menschen ausgebildet, die in der Bekleidungsbranche von morgen die Weichen stellen. Wirtschaftswissenschaftlerinnen und Wirtschaftswissenschaftler können am Beispiel der Bekleidungsindustrie gut menschenrechtliche Risiken und Abhilfemechanismen generell im arbeitsteiligen, globalisierten Wirtschaftssystem diskutieren. Und zukünftige Lehrerinnen und Lehrer sind natürlich unheimlich wichtige Multiplikatorinnen und Multiplikatoren.

EG: Wie ist das Feedback der Studierenden?

AN: Viele Studierende aus Modestudiengängen bedauern, dass bei ihnen Nachhaltigkeit immer noch die Exotenperspektive ist. Da, wo einzelne Dozentinnen und Dozenten sich stark für das Thema engagieren, können auch mal Semesterprojekte oder Abschlussarbeiten zu Ideen der „ethical fashion“ umgesetzt werden. Was sowohl Studierende als auch Lehrende sehr schätzen, ist die Möglichkeit, über uns mit Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern aus Produktionsländern wie Indien oder Bangladesch zu sprechen. Hier können sie sich mit den Aktivistinnen und Aktivisten selbst über ihre Probleme, aber auch über Lösungsansätze austauschen. Interessant für Studierende ist sicherlich auch der Fokus auf Nachbarprodukte wie Schuhe oder auf neue Produktionsländer wie Myanmar oder Äthiopien.

Mittagspause. Erschöpft schlafen mehrere Frauen sofort ein, Foto: Gisela Burckhardt/FEMNET e.V.

EG: Spielt das Thema faire Mode bei jungen Menschen in Zeiten von Primark, H&M und Co. überhaupt eine Rolle?

AN: Wir sehen, dass „ethical fashion“ wichtiger wird – das spiegelt sich beispielsweise in der Zahl der Ausstellerinnen und Aussteller auf der Ethical Fashion Show wieder. Eine Befragung im Forschungsprojekt InNaBe (Innovationen für nachhaltige Bekleidung) hat gezeigt, dass junge Menschen nicht so häufig zu umweltverträglich oder fair hergestellter Kleidung greifen, wie der Durchschnitt der Befragten. Das hängt sicherlich mit dem verfügbaren Budget zusammen. Das Thema Nachhaltigkeit insgesamt spielt vielleicht eine große Rolle – wird jedoch nicht immer unmittelbar mit dem eigenen Einkaufsverhalten in Verbindung gebracht.

EG: Was kann jede und jeder Einzelne in seinem Alltag selbst tun, um bessere Arbeitsbedingungen für Textilarbeiterinnen und Textilarbeiter in den Herstellungsländern zu fördern?

AN: Wichtig ist aus unserer Sicht besonders das Nachfragen bei Unternehmen: Wer hat meine Kleidung unter welchen Umständen hergestellt? Wirksamer wird das, wenn man insgesamt Aktionen in größeren Netzwerken wie beispielsweise der Kampagne für Saubere Kleidung oder der Fashion Revolution unterstützt. Viele Tipps liefert auch unser Fair Fashion Guide.

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