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Bäume berühren und sprechen lassen - Einblicke in das erste Einstiegsseminar Globales Lernen für Geflüchtete

Keith Hamaimbo 0 Bildung Globales Lernen

Keith Hamaimbo war beim ersten Einstiegsseminar Globales Lernen für Geflüchtete von Bildung trifft Entwicklung (BtE) dabei. Von den Teilnehmenden aus Ruanda, Somalia und Syrien nahm er einzigartige Geschichten mit – und die Inspiration, seine Erfahrungen aus dem Seminar in einem bildreichen Blog-Beitrag mit uns zu teilen.

Bäume berühren und sprechen lassen

Keith Hamaimbo
Dr. Keith Hamaimbo

Der Wald ruft in jeder Person ein Bild hervor. Oft gibt es eine innere Angst vor dem Wald. Ein Ort, an dem alles dicht, dunkel und geheimnisvoll ist, an dem überall Gefahren lauern. Dieses Bild ist mir angesichts der vielen Meldungen zur Flüchtlingslage in den letzten Monaten wieder eingefallen. Als „Gegengift“ zu dem Bild fiel mir ausgerechnet ein Baum ein. Nehmen wir zum Beispiel die Eiche: Ein schöner Baum, der nicht nur hervorragende dekorative Eigenschaften hat, sondern auch Einheit und Frieden symbolisiert. In vielen alten Religionen wurde sie sogar als heilig verehrt. Würden aber Tausende von Eichen beieinander stehen, wären sie vielleicht unheimlich und man würde die einzelne Eiche nicht mehr wahrnehmen.

Als feststand, dass ich Teil des Teams für das erste Einstiegsseminar zum Globalen Lernen für Geflüchtete von Bildung trifft Entwicklung (BtE) von Engagement Global sein sollte, war ich gespannt, was ich mit den unterschiedlichen Teilnehmenden erleben würde. Auf der Liste der Teilnehmenden standen unter anderem Frauen und Männer aus Ruanda, Somalia und Syrien. Jeder und jede von ihnen mit einer anderen Geschichte. Einige sind schon länger in Deutschland, andere waren schon einmal in ihre Heimatländer zurückgekehrt und sind wieder nach Deutschland eingereist, nachdem die persönliche Sicherheit in ihrem Land nicht gewährleistet werden konnte. Andere waren erst wenige Monate in Deutschland – demzufolge war das Niveau der Sprachkenntnisse in der Gruppe sehr unterschiedlich. Einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer machten sich daher Sorgen, ob sie bei ihren Bildungsveranstaltungen verstanden werden könnten. Auch ich konnte noch sehr wenig Deutsch als ich begann, als Referent tätig zu sein. Trotzdem wurden meine Inhalte verstanden. Was ich in den letzten Jahren dazu gelernt habe, sind die unterschiedlichen Methoden, die es ermöglichen Inhalte mithilfe aller Sinne und auf lebendige Art und Weise zu vermitteln. In dem Einstiegsseminar ist es unsere Aufgabe als Trainer oder Trainerin, eben diese Methoden aufzuzeigen, mit denen die neuen Referentinnen und Referenten ihre Inhalte vermitteln können.

Eine der Methoden kann das Arbeiten mit Bildern sein. Bilder erzählen Geschichten, wird gesagt. Aber auf einem dramatischen Bild eine Person wiederzuerkennen, die gerade neben dir sitzt, erzeugt eine ganz andere Beziehung zu diesem Bild. Plötzlich sind das keine „Flüchtlinge“ mehr, die irgendwo auf einen Lastwagen gepfercht werden. Es sind Menschen wie du und ich. Dann frage ich die Teilnehmenden: „Kennst du auch andere Leute auf diesem Bild? Weißt du, wo diese oder jene Person jetzt ist?“ Durch diese Reflexion sehe ich in dem Wald (in Hunderten von Berichten über Flüchtlinge) plötzlich wieder Bäume. Ich berühre einen Baum, indem ich mit einer Person über ihre Fluchtreise spreche. Wenn sie mit mir darüber spricht, weiß ich, dass ich ihr nichts zu sagen brauche. Ich muss nur zuhören. Ihre Geschichte ist einzigartig. Ich erkenne plötzlich die Zerstörung, wenn die Person mir ein Bild zeigt und sagt: „Siehst du das hier? So sieht die Straße jetzt aus. Das habe ich im Internet gefunden. Aber siehst du hier? So sah die Straße vorher aus. Diese Straße kenne ich.“ Ich habe am Ende einen starken Wunsch: Das sollten viele Menschen mitbekommen. Diese Geschichten dürfen auf gar keinen Fall hier im Seminar im Verborgenen bleiben. Diese Menschen – genau wie die Bäume im Wald – müssen für sich sprechen, genau betrachtet werden, damit viele endlich verstehen, dass wir nicht von Monstern und Schmarotzern in Flüchtlingsverpackungen heimgesucht werden. Ich hoffe, dass die neuen Referentinnen und Referenten viele Anfragen bekommen, um Ihre Geschichten erzählen und ein Bild von ihren Heimatländern vermitteln zu können.

Zu guter Letzt möchte ich eine Anekdote aus dem Seminar erzählen. Eine der Methoden des Seminars, die durchgeführt werden sollte, war „Stühle rücken“. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden in Gruppen aufgeteilt. Jede Gruppe bekommt die Aufgabe, Stühle in einer bestimmten Position aufzustellen. Es gibt nicht genug Stühle, um es jeder Gruppe zu ermöglichen, die eigene Aufgabe zu erledigen. Gewöhnlich gibt es am Anfang des Spiels ein bisschen Chaos und „Streit“ um die Stühle, bis ich als Trainer nach ca. 20 Minuten das Gefühl habe, dass mein pädagogisches Vorhaben erreicht worden ist. Am Ende kann ich dann ganz kompetent erklären, dass es in dieser Übung darum geht aufzuzeigen, dass Konkurrenz nicht immer zielführend ist. Es geht beim Globalen Lernen vielmehr um Kooperation und Empathie.

Mit einer Gruppe ist die Übung gescheitert. Nach ca. ein bis zwei Minuten war das Spiel schon zu Ende und alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer standen zufrieden vor den wenigen für die jeweilige Gruppe versammelten Stühlen. Die Gruppen erläuterten mir: „Wir sind mit den wenigen Stühlen zufrieden! Wenn es nicht genug Stühle gibt, dann gibt es eben nicht genug. Aber von den anderen möchten wir ungern die Stühle wegnehmen.“ Mit den Trainerinnen und Trainern des Seminars machten wir uns später Gedanken, ob wir die Übung hätten umformulieren müssen: „Stellt ALLE Stühle in eine Reihe...“ und nicht „Stellt die Stühle in eine Reihe...“? Dann wäre die Übung vielleicht verständlicher.

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