- Entwicklungszusammenarbeit
- Globales Lernen
Die Lage ist ernst
0
Als Welthungerhilfe bringen wir zum Beispiel Politiker mit Partnern aus unseren Projektgebieten zusammen, die längst mit den Folgen des Klimawandels kämpfen. Mit Afrikanerinnen, die erleben, wie der Regen ausbleibt oder zu unvorhersehbaren Zeiten fällt. Mit Peruanern aus den Anden, die nicht mehr das ganze Jahr über Zugang zu Wasser haben seit die Gletscher schmelzen. Und mit Inselbewohnern der Pazifikküste, die ihre Heimat verlassen müssen.
Führt Klimawandel auch zu mehr Hunger weltweit?
Klimawandel erschüttert die Grundlagen der Nahrungsmittelproduktion. Nach Extremwetterereignissen wie Dürren oder Überschwemmungen ist zum Beispiel zu viel oder zu wenig Wasser vorhanden. Meerwasser lässt Äcker für etwa drei Jahre unfruchtbar werden und Süßwasserquellen in Küstennähe versalzen. Außerdem zerstören Extremwetterereignisse die wichtigste Infrastruktur: Ohne Bewässerungsanlagen, Straßen und Märkte können Lebensmittel nicht mehr angebaut, transportiert und gehandelt werden. Im schlimmsten Fall können die Bauern drei Jahre nichts mehr ernten und sind auf Importe angewiesen, während die Preise für Grundlebensmittel steigen. Unter solchen Umständen kann niemand überleben. In den indischen Deltagebieten, den Sundarbans, wandern die Männer bereits in Städte ab, um als Billiglohnarbeiter Geld zu verdienen und nach Hause zu schicken. Die Frauen und Kinder bleiben schutzlos zurück.
Klimawandel als Armutsfalle? Mehr Infos auch in der aktuellen Studie: „Auswirkungen des Klimawandels auf Ernährungssicherheit“
Wie können Projekte im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit helfen, mit dem Klimawandel zu leben?
Starten wir als Welthungerhilfe neue Programme und Projekte, dann lassen wir sie vor Beginn durch eine so genannte Klimaanpassungsprüfung laufen. Das heißt, wir und unsere Partner denken immer darüber nach, ob und wie der Klimawandel durch Veränderungen des Wetters unsere Projektregion verändern wird und wie unsere Partner und Zielgruppen Risiken besser einschätzen und sich entsprechend vorbereiten können. Wir engagieren uns daher seit langem stark in der Katastrophenvorsorge. Die Projekte helfen den Menschen, sich an die Folgen des Klimawandels anzupassen: Menschen in Überschwemmungsgebieten brauchen zum Beispiel Schutzräume und Erste-Hilfe-Trainings, während Bauern in Trockengebieten von Regenauffangbecken und hitzeresistentem Saatgut profitieren können.
Emissionen entstehen überall und müssen verringert werden
Die ärmeren Länder des globalen Südens haben ein Recht auf möglichst nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung und viel Nachholbedarf, um ihre Armut zu lindern. Außerdem haben diese Länder wenig bis gar nichts zum Klimawandel beigetragen. Ihnen jetzt extreme Ziele zur Reduktion von Treibhausgasen vorzuschreiben, ist global gesehen wenig gerecht.
Klimaschutz muss von den Verursachern, also den reichen Ländern und mehr und mehr den Schwellenländern, ausgehen − zum Beispiel von uns Deutschen, aber auch von den Ober- und Mittelschichten in Mumbai. Das ist auch eine Frage der Glaubwürdigkeit. Und wenn die Bewohner der Sundarbans in Indien neuerdings auch Moped fahren, sollte uns das nicht stören. Es sei denn wir schaffen Mobilitätskonzepte für diese Gesellschaften, die auf Elektrofahrzeugen beruhen.
Die Länder des Globalen Südens leiden als erstes unter dem Klimawandel, den die Länder des Nordens hauptsächlich verursacht haben.
Der Süden prangert diese Ungerechtigkeit auf den Klimakonferenzen immer wieder an. Aber welche Entschädigungen sind geplant? Die reichen Länder haben sich verpflichtet, ab 2020 jährlich 100 Milliarden US-Dollar für Klimafinanzierung bereit zu stellen. Ein Teil davon wird bereits heute über den Grünen Klimafonds abgewickelt, aus dem Klimaschutz und Anpassung finanziert werden sollen.
Wir Nichtregierungsorganisationen fordern, dass mindestens die Hälfte des Geldes für Anpassungsmaßnahmen an besonders arme Länder geht. Wenn wir die Menschen im Süden nicht unterstützen, mit den Veränderungen zu leben, werden noch mehr Menschen zu Klimaflüchtlingen.
Doch Anpassungsmaßnahmen im Süden entlasten uns nicht von unserer Verantwortung, die Emission von Treibhausgasen zu reduzieren. Schon heute sind klimabedingte Schäden eingetreten, die nicht mehr rückgängig zu machen sind. Und wir müssen mit Schäden rechnen, an die wir uns nicht mehr anpassen können. Dafür muss es im internationalen Kontext Umgangsformen geben.
Deutschland als Vorreiter beim Klimaschutz, immer noch?
Deutschland gilt als Vorreiter beim Klimaschutz, aber, wenn deutsche Unternehmen ihren Klimaschutz schönrechnen, können wir unsere Vorreiterrolle schnell verlieren. Das ist beim VW-Skandal zu sehen. „Schaut mal, die Deutschen − so eine große Klappe und nichts dahinter“, heißt es dann. „Die wollen ihre Emissionen um 40 Prozent reduzieren und schummeln bei ihren Autos.“ Selbst die deutsche Regierung interveniert auf EU-Ebene, um die Abgasnormen industriefreundlich zu gestalten. Das ist bitter und kann uns ganz schön um die Ohren fliegen.
Die Welt schaut auf Deutschland. Wir sind das Land, das die Energiewende umsetzen und aus der Kohle aussteigen will. Aber auf die Ankündigungen müssen auch Taten folgen. Die anderen Länder sehen genau hin, ob es sich lohnt und die Bevölkerung mitzieht – sonst fangen sie gar nicht erst an.
Zusammen mit VENRO, der deutschen Klimaallianz und dem Climate Action Network machen wir als Welthungerhilfe der Bundesregierung Druck (>> mehr erfahren: Forderungen zur Klimakonferenz Paris), wenn wir den Eindruck haben, dass Deutschland nicht genug für den Klimaschutz tut. Dann laden wir auch schon mal unsere Partner aus betroffenen Ländern zu einem Abendessen mit Vertretern des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (AwZ) ein, damit die Politiker eine Vorstellung von den Folgen des Klimawandels bekommen. Außerdem sensibilisieren wir die Öffentlichkeit für einen sparsameren, nachhaltigeren Konsum.
Blick auf Paris und die 21. Klimakonferenz:
Blickt man auf den Klimagipfel in Paris, der in wenigen Tagen startet, fällt auf, dass die Regierungen im Laufe der 20 Konferenzjahre durchaus Fortschritte gemacht haben. Beim Klimagipfel in Kopenhagen 2009 zum Beispiel sollten die Texte für ein Klimaabkommen bzw. für Beschlüsse erst während der zwei Konferenzwochen geschrieben und verabschiedet werden – dies war erfolglos.
Der Text für ein gemeinsames verbindliches Klimaschutzabkommen, der ab 2020 in Kraft treten soll und über welchen in Paris verhandelt wird, liegt bereits jetzt schon vor. Und die Akteure kennen den Text. Voraussichtlich wird es also einen alle Staaten umfassenden Klimavertrag geben, Streitereien wird es trotzdem geben.
Und: Die Länder werden sich in Paris nur auf einen kleinsten gemeinsamen Nenner einigen. Die von den Ländern bisher eingereichten freiwilligen Selbstverpflichtungen zur Reduktion von Treibhausgasen reichen gerade einmal, um die Erderwärmung auf drei bis vier Grad bis zum Jahr 2100 zu begrenzen. Heute sind wir bereits bei einem Grad Erwärmung angekommen. Steigt die Temperatur aber auch nur um mehr als zwei Grad gegenüber der Zeit der industriellen Revolution, werden die Folgen für Mensch und Umwelt unbeherrschbar.
Der Vertrag von Paris kann also nur ein Ausgangspunkt für weitere Verhandlungen sein. Unter anderem müssen die Staaten ihre Selbstverpflichtungen transparenter machen. Bisher legt jedes Land ein anderes Maß an: Die Deutschen wollen ihre Emissionen um 40 Prozent verringern, die USA „nur“ um 18,5 Prozent. Wir nehmen als Ausgangswert allerdings die hohen Emissionen von 1990, während die USA schon vom niedrigeren Wert von 2005 ausgeht. Somit sind die Angaben bisher nur schwer vergleichbar.
Außerdem wartet der Süden darauf, dass der Norden endlich verbindliche Aussagen zur Finanzierung macht und beweist, dass man ihm trauen kann. Zumindest dieses Mal.
Der Text entstand im Rahmen eines Interviews mit der Journalistin Christina Felschen http://christina-felschen.com/