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Ein etwas anderer Seminareinblick

Johanna Tückmantel 0 Bildung trifft Entwicklung

Wachstum zu hinterfragen und Alternativen zu „Entwicklung“ aufzuzeigen – das waren die Ziele der Themenkonferenz „Die Kunst des guten Zusammenlebens“, die im Rahmen des Seminarprogramms von Bildung trifft Entwicklung / Engagement Global im Oktober 2016 in Bielefeld stattfand. Die Teilnehmenden beschäftigten sich mit Konzepten eines solidarischen Miteinanders und Wirtschaftens und ließen sich dazu von Ideen aus dem Globalen Süden sowie hiesigen Diskursen inspirieren. Diese Inspiration sowie ihre Eindrücke teilt Johanna Tückmantel in ihrem Rückblick auf das Seminar.

30 Seminarteilnehmende streunen im Wald hinter dem Seminarhaus auf der Suche nach Gegenständen umher. Doch was hat der aufgehobene Tannenzapfen eigentlich mit unserem Seminarthema zu tun, der „Kunst des guten Zusammenlebens“? Erstmal dient er mir dazu, bei der Vorstellungsrunde in der Kleingruppe eine Brücke zwischen meinen Ideen zum Thema und meiner Person zu schlagen.

Genau wie diese Einstiegsübung erwarten uns an diesem Seminarwochenende viele Zugänge zur Kunst des guten Zusammenlebens. Es soll um Commons, Tiefenökologie, Buen Vivir und die Mentalen Infrastrukturen von Wachstum gehen. Während des Wochenendes werden wir in Offenheit und Bereitschaft zur Reflexion ge- und überfordert. Doch wozu das ganze? Was hat das mit der entwicklungspolitischen Bildung zu tun? Keine direkten Antworten auf Fragen zu finden, ist ungewohnt. Die Workshops geben uns allerdings Impulse für mehr Orientierung auf dem Weg zum „Guten Zusammenleben“: Bei den Mentalen Infrastrukturen des Wachstums geht es um unsere Vorstellungen und Routinen, dem Wunsch nach „Mehr“, „Besser“, „Schneller“ und den Fragen, wie wir damit auf der Welt (weiter) leben können oder wollen. Der Buen Vivir- Workshop liefert Kritiken am Entwicklungsbegriff und zeigt das Konzept des Buen Vivir als Lebensalternative auf. Die Tiefenökologie beschäftigt sich mit Verbindungen zu allen Lebensformen auf der Erde und setzt sich mit unseren Kapazitätsgrenzen auseinander, wie zum Beispiel in Bezug auf das Klima oder auf Wachstum.

Der Workshop, den ich besuche, beschäftigt sich mit dem Thema Commons. Commons sind Ressourcen, die allen gehören und von mehreren genutzt werden (müssen). Dieses Konzept findet sich auf allen Erdteilen, Beispiele sind Wikipedia oder auch Orte wie Strände oder Wälder. Ein weiteres Beispiel aus Venezuela haben wir länger betrachtet: Der selbstgegründete Kooperativenverband „CECOSESOLA - Auf dem Weg“, der aus Not(wendigkeit) einen Bestattungsservice, eine Lebensmittelversorgung und ein Krankenhaus ins Leben gerufen hat. Die Kooperative besteht aus 300 Menschen, die alle Entscheidungen gemeinsam in nicht moderierten Sitzungen fällen. Es wird solange diskutiert, bis eine einvernehmliche Lösung gefunden ist. Für uns Workshopteilnehmende ist das erstmal unvorstellbar. Die Kooperative erreicht ständig neu gesteckte Ziele. So ist das Projekt der Lebensmittelversorgung aktuell am wichtigsten. Die Produkte werden zum Kilopreis verkauft, alles trägt den gleichen Preis (ein Kilo Kürbis kostet ebenso viel wie ein Kilo Bohnen). Erwirtschaftetes Plus wird in weitere Gemeinschaftsprojekte investiert. Jede Person in der Kooperative bekleidet im Wechsel eine andere Funktion, in der einen Woche bei der Ernte, in der nächsten an der Kasse. Dieser soziale Prozess im Sinne von gemeinsamen Regeln und gemeinsamer Verantwortung bedeutet „commoning“ und beeindruckt uns am meisten.

Abends spielen wir gemeinsam Theater. Wir lernen unsere Perspektiven auf Herausforderungen zu überdenken oder zu verrücken. Das ist auch für Engagierte und Erfahrene keine leichte Übung. Während des Seminars begeben wir uns in teils unbekannte Strukturen und selbstbestimmte Lernprozesse, die durch verschiedene Methoden begleitet werden. Wir sind gefordert, Initiative zu ergreifen, um Themen weiterzudenken, Fragen zu stellen und Antworten zu finden.

Nach einem Reflexionsspaziergang mit drei weiteren Teilnehmenden stellen wir fest, dass wir alle nur wenig vom Wald wissen und dadurch auch keinen Bezug zur (Aus-)Nutzung seiner Ressourcen haben. Der Tannenzapfen ist also ein Anfang, meinem Bezug zum Wald wieder einen Namen geben zu können und Symbol dafür, was uns an Gutem Leben umgibt, das wir wahren sollten.

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