Hoffnungslichter für Peru

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Peru und seine 32 Millionen Einwohner werden vom Covid-19 Virus gebeutelt. Im Interview berichtet Lucy Contreras sehr anschaulich über die dramatische Situation in ihrem südamerikanischen Geburtsland. Contreras, Expertin für Entwicklungsarbeit und Menschenrechte, setzt sich für eine Verbesserung der Situation ein und gibt auch Einblicke in die peruanische Gesellschaft, die sich mit eigenen Mitteln zu helfen versucht. Die Macht des Virus scheint in Peru bisher jedoch noch fast unbegrenzt: Wenige Wochen nach dem Interview musste Contreras die Anzahl der durch Corona verursachten Todesfälle innerhalb ihrer Familie nach oben korrigieren.

Lucy Contreras
Lucy Contreras

1. Welche Auswirkungen hat die Corona Pandemie auf die Menschen in Peru?

Nicht nur in Bezug auf das Gesundheitssystem, sondern auch soziokulturell und ökonomisch leidet Peru sehr stark unter der Coronakrise. Mit 32 Millionen Einwohnern liegt Peru auf Platz fünf der weltweiten Corona-Statistik.
Die Intensivbetten und die Beatmungsplätze reichen schon seit Monaten nicht mehr aus, vor allem der Norden Perus und das Amazonasgebiet sind stark betroffen. Und zuletzt war es in den Anden ein Alptraum, weil Sauerstoff fehlt.
Das peruanische Gesundheitssystem war schon vor Covid-19 veraltet und unzureichend. Dass wir nicht weit mehr Tote, wie in Italien, zu beklagen haben, liegt daran, dass die Bevölkerung in Peru wesentlich jünger ist. Denn im Durchschnitt sind die Menschen etwa 28 Jahre alt.

Von Mitte März bis zum 1. Juli galt ein strikter Lockdown. Dieser wurde begleitet von starken Repressionen durch die Polizei. Viele Menschen wurden festgenommen, dies sorgte für eine hohe Ansteckungsrate in Haftanstalten. Der Lockdown dauerte länger als 100 Tage. Dabei waren die Ausgangssperren nur für die mittlere und obere Schicht wirksam, denn viele ärmere Menschen müssen täglich ihr Haus verlassen. Die meisten Peruaner können nicht, wie in Deutschland, im Home-Office arbeiten. Nicht alle haben einen Kühlschrank zu Hause. Fast drei Viertel der Beschäftigten arbeiten im informellen Sektor, ohne Krankenversicherung und andere Absicherungen. Sie können nicht zu Hause bleiben. Sie müssen in die Stadt oder auf den Markt, um mit anderen Menschen Geschäfte zu machen oder einzukaufen. Die Regierung hat hier die falschen Maßnahmen getroffen und alle Aktivitäten gestoppt. Das gilt für verschiedene Sektoren: Das Baugewerbe, die Produktion, der gesamte Dienstleistungssektor - all diese Bereiche der Wirtschaft sind stark betroffen.

Ein Beispiel, dass die Situation verdeutlicht, ist die Gastronomie. In Peru leben einige Familien von der Arbeit in ihren eigenen Restaurants, die sie in ihren Häusern betreiben. Diese Restaurants durften drei lange Monaten nicht öffnen. Auch Essen zur Abholung oder Lieferung anzubieten war untersagt.

Besonders dramatisch ist die Notsituation der venezolanischen Flüchtlinge, die oft Angestellte in Restaurants waren, oder im Dienstleistungssektor arbeiteten. Sie und ihren Familienmitglieder wurden aus ihren Mietwohnungen gedrängt.

Die vorher relativ starke peruanische Wirtschaft ist durch den Lockdown kollabiert. Die Ausgangssperre wurde nun aufgehoben, die Infektionsrate ist jedoch immer noch sehr hoch. Das liegt auch an der Reaktion der Regierung auf Menschen, die den Lockdown aufgrund ihrer Lebenssituation missachten mussten. Es gab keinerlei Sensibilisierungsstrategien oder präventive Maßnahmen.

2. Welche Herausforderungen empfindet ihr aktuell als besonders wichtig?

In Peru hat die Pandemie alle Bereiche, alle Sektoren berührt, überwältigt und beeinträchtigt. Das zeigt sich nicht nur auf beruflicher und wirtschaftlicher Ebene, sondern beeinflusst auch die persönliche, familiäre und soziale Situation der Menschen.

Mit dem ökonomischen Wachstum der letzten 20 Jahren hatten sich viele arme Familien in die Mittelsicht hochgearbeitet - mit Mikrokrediten und mit viel Arbeit und Mühe. Der Lockdown zerstörte die Früchte dieser harten Arbeit, das kleine Kapital ging verloren. Diese Erfahrungen sind für die Menschen sehr schmerzhaft. Die Menschen müssen nun neu anfangen.

Die Pandemie verdeutlicht, dass die Probleme des Landes struktureller Natur sind. Einerseits erkennen die Menschen in Peru an, wie gravierend die herrschende soziale Ungleichheit für ärmere Bevölkerungsgruppen Menschen ist. Andererseits zeigt die Politik auch in der Krise ihre Unfähigkeit und ihre Anfälligkeit für Korruption. Viele wesentliche Fragen warten auf eine Antwort. Wie kann man die ärmsten Bevölkerungsteile vor vermeidbaren Krankheiten schützen? Dafür braucht es den Aufbau eines stärkeren Staatsbürgerbewusstseins, eine effizientere Politik und eine gemeinschaftlichere Vision der Pflege. Der Umgang mit der Ungleichheit sollte eine Frage der Solidarität und daher Teil der sozialen Agenda des Landes sein.

Eine weitere Herausforderung ist die Vermeidung von Gewalt, die aufgrund der wirtschaftlichen und sozialen Missstände explodieren kann.

3. Wie reagieren die Menschen vor Ort auf diese Herausforderungen?

Unter diesen schweren Rahmenbedingungen haben sich die Menschen in ärmeren Viertel selbst organisiert, um den am stärksten Betroffenen zu helfen. Denn die Regierung denkt nur an Menschen, die im Home-Office arbeiten können. Kirchen und gemeinnützige Vereine reagieren mit Armenspeisungen. An den zentralen Punkten in den Stadtvierteln stehen „Küchen für alle“ oder SOS-Töpfe bereit. Suppe, Reis und Bohnen werden für alle Bedürftigen täglich gekocht.

Die Menschen zeigen sich solidarisch. Es gab Situationen, in denen Krankenhäuser sich weigerten, ärmere Erkrankte aufzunehmen. Um die Erkrankten zu unterstützten, protestierten Nachbarn vor den Krankenhäusern. Oft waren die Proteste erfolgreich und auch die ärmeren Menschen wurden behandelt. Es freut mich sehr zu sehen, dass die Menschen sich so sehr für einander einsetzen.

Durch meine Arbeit für die Katholische Kirche bin ich auch in engen Kontakt mit einigen Diözesen und Pfarreien, die sich selbst organisiert haben, um Nothilfe zu leisten. Mit viel Kreativität und mit dem Gedanken, dass man für das Gemeinwohl arbeitet, wird einiges bewegt. Wenn Perus Gesellschaft zusammenhält, können wir der Virus besiegen, weil es ein Virus des Hungers ist.

Dennoch, diese Pandemie hat dem Land in vielen Dimensionen tiefe Schmerzen bereitet. Der Virus verbreitet sich auch jetzt noch auf den Märkten und auf den Straßen. Um mit den Symptomen umzugehen, beraten sich die Menschen telefonisch und per Whatsapp untereinander. Zum Beispiel dazu, welche Medikamente Symptome lindern können, da viele sich eine Sprechstunde bei einem Arzt nicht leisten könnten.

Inzwischen hat der Virus meine Mutter erwischt, ihr geht es aber jetzt wieder gut. Drei meiner Onkel und Nachbarn sind an dem Virus gestorben. Viele Beerdigungen finden aktuell via Zoom statt. So finden die Menschen einen Weg zu trauern, auch wenn es sehr schwer ist.

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