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An Erfahrungen wachsen

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Zum Internationalen Tag der Freiwilligen sprachen wir mit Dr. Jens Kreuter, Geschäftsführer von Engagement Global, über die Entwicklungen des Freiwilligendienstes. Aus der Praxis des entwicklungspolitischen Freiwilligendienstes weltwärts berichten zudem Della Bii-Mai, ehemalige Süd-Nord-Freiwillige aus Kamerun, und der Armenier Armen Hakobyan, der derzeit seinen Freiwilligendienst in Deutschland absolviert.

Am 5. Dezember wird jährlich der Internationale Tag der freiwilligen Helferinnnen und Helfer für wirtschaftliche und soziale Entwicklung – kurz der Internationale Tag der Freiwilligen – begangen. Engagement Global ist die Ansprechpartnerin in Deutschland für entwicklungspolitisches Engagement. Unter dem Dach von Engagement Global ist auch die Koordinierungsstelle des entwicklungspolitischen Freiwilligendienstes weltwärts angesiedelt.

Der Name ist Programm: Mit weltwärts arbeiten junge Erwachsene weltweit als Freiwillige gemeinsam mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Partnerorganisation in einem Projekt. Neben dem weltwärts Nord-Süd Programm, in dem die Freiwilligen in eines der so genannten Partnerländer der deutschen Entwicklungszusammenarbeit gehen, gibt es seit 2013 auch die Süd-Nord-Komponente.

Zum Internationalen Tag der Freiwilligen sprachen wir mit Dr. Jens Kreuter, dem Geschäftsführer von Engagement Global, über die Entwicklungen des Freiwilligendienstes. Aus der weltwärts-Praxis berichten zudem Della Bii-Mai, ehemalige Süd-Nord-Freiwillige aus Kamerun, und Armen Hakobyan, aktuell Süd-Nord-Freiwilliger aus Armenien.

Mittlerweile haben mehr als 2000 Süd-Nord-Freiwillige einen Freiwilligendienst absolviert. Foto: Brot für die Welt

Engagement Global: Herr Dr. Kreuter, nach Ihrem Abitur leisteten Sie selbst einen Freiwilligendienst in Erfüllung der Zivildienstpflicht in Israel. Aus welchen Gründen entschieden Sie sich für einen Freiwilligendienst?

Dr. Kreuter: Bei mir war das damals Abenteuerlust, ich wollte unbedingt noch einmal ins Ausland. Ich hatte schon einen Schüleraustausch gemacht und wollte wieder raus. Und die einzige Möglichkeit für mich war ein solcher Friedensdienst im Ausland. Damals war es schwierig, einen Freiwilligendienst im Ausland zu absolvieren, der auf die Zivildienstpflicht anerkannt wurde, und Israel war eine von ganz wenigen Möglichkeiten. Ich habe in Nes Ammim, einem christlich-jüdischen Versöhnungsprojekt mitgewirkt, in dem Christen aus Europa im Norden von Israel leben. Dort habe ich verschiedene Dinge gemacht, vor allem habe ich in einem Gästehaus gearbeitet, in dem Seminare stattfanden. Ich habe wirklich ganz an der Basis gearbeitet: Betten gemacht, Toiletten geputzt, Teller gewaschen - und in der Zeit eine Menge gelernt. Auch über das Arbeitsleben. Ich war anderthalb Jahre dort, und die Zeit hat mich sehr geprägt.

EG: Für Freiwillige ist der Freiwilligendienst im Ausland oft eine weichenstellende Erfahrung in ihrer Biografie. Als Bundesbeauftragter für den Zivildienst waren Sie maßgeblich an der Einführung des Bundesfreiwilligendienstes beteiligt und trugen später, als Leiter des Arbeitsstabes Freiwilligendienste, die Verantwortung für Aufbau und Steuerung des Bundesfreiwilligendienstes und des Internationalen Jugendfreiwilligendienstes. Welche Erfahrungen aus Ihrem Aufenthalt in Israel haben Sie in die Gestaltung des Freiwilligendienstes mitgenommen?

Dr. Kreuter: Es ist sehr schwierig zu sagen, wie einen Menschen eine so lange Erfahrung genau prägt. Anderthalb Jahre - wenn man 20 Jahre alt ist, ist das eine lange und intensive Zeit. Ich glaube, für meine spätere Arbeit war am ehesten das große Vertrauen in die Freiwilligen und die Träger wichtig. Ich glaube und habe es so auch selbst so erlebt, dass niemand einen Freiwilligendienst oder generell ein ehrenamtliches Engagement, aus purem Eigennutz absolviert. Niemand wird damit reich und auch die Träger, die die Organisation übernehmen, machen damit keinen Profit. Deswegen habe ich erst einmal ein sehr großes Grundvertrauen, dass alle in diesem Bereich aktiv sind, weil sie etwas Gutes erreichen wollen. Der Staat muss natürlich darauf achten, dass schwere Fehler identifiziert werden. Das Ganze muss in einem bestimmten Rahmen ablaufen, sodass nach außen erkennbar ist, dass zum Beispiel die Finanzierungen stimmen. Der Staat sollte aber nicht jedes Detail steuern wollen. Eine zweite Erfahrung, die mich geprägt hat, lag darin, dass ich gerade aus schwierigen Momenten besonders viel gelernt habe. Natürlich ist eine gute Begleitung, eine gute Vor- und Nachbereitung wichtig. Wenn dieser Rahmen stimmt, bin ich fest davon überzeugt, dass (fast) alle Jugendlichen (fast) überall auf der Welt spannende und lehrreiche Erfahrungen machen können.

EG: Seit 2015 sind Sie Geschäftsführer von Engagement Global, wo auch die Koordinierungsstelle des entwicklungspolitischen Freiwilligendienstes weltwärts angesiedelt ist. 2018 feierte der Freiwilligendienst weltwärts seinen zehnten Geburtstag. Welche Botschaft möchten Sie zukünftigen Freiwilligen mitgeben?

Dr. Kreuter: Ich würde zukünftigen Freiwilligen auf jeden Fall den Rat mit auf den Weg geben, die Zeit zu genießen. Ein Jahr im Ausland ist immer eine faszinierende Erfahrung, egal was man erlebt. Auch wenn mal etwas schief geht, auch wenn es Schwierigkeiten gibt. Daran wächst man. Rückblickend sind auch die allermeisten Freiwilligen total begeistert von dem, was sie erlebt haben. Ein zweiter Rat ist: Offenheit! Die Neugier, die Offenheit Menschen gegenüber, die Bereitschaft zu lernen, sich selbst in Frage zu stellen und sich zu verändern - das sind wichtige Impulse. Wenn ich jetzt mit meinen beruflichen Erfahrungen auf meinen Freiwilligendienst zurückschaue, würde ich noch den Rat ergänzen, selbst etwas bescheidener zu sein. Deutsche Abiturientinnen und Abiturienten kommen ja manchmal aus der Schule mit dem Gefühl: „Ich kann jetzt alles. Ich habe das Abitur geschafft.“ Und das stimmt eben nicht. Das habe ich in dem Moment gemerkt, als ich in Israel aus dem Flugzeug gestiegen bin und man mir gesagt hat: „Jetzt putz‘ mal ein Hotelzimmer in 20 Minuten!“ Das konnte ich eben nicht. Wenn Freiwillige irgendwo in Afrika, Asien oder Lateinamerika in eine völlig fremde Kultur kommen, ist es genauso. Ich würde ihnen den Rat geben, sensibel für lang gepflegte Kulturen und Traditionen vor Ort zu sein. Sie sollten dort, im Grunde als ungelernte Kulturfremde, ganz bescheiden ganz unten in der Hierarchie einsteigen. Es gibt immer wieder deutsche Abiturientinnen und Abiturienten, die aus der Schule rauspurzeln und meinen, sie könnten am nächsten Tag in Ghana als Englischlehrer arbeiten. Und die muss man dann manchmal ein bisschen wachrütteln und sagen: „Überleg doch mal kurz, welche Ausbildung eure Englischlehrer hatten, bevor sie euch unterrichtet haben!“ Bescheidenheit, Offenheit und die Zeit zu genießen – das sind meine Ratschläge.

Aus der Praxis

Della Bii-Mai begann im September 2017 als 1000. Süd-Nord-Freiwillige ihren 13-monatigen Freiwilligendienst bei der Stiftung Partnerschaft mit Afrika e.V. in Potsdam. Mittlerweile haben über 2000 Süd-Nord-Freiwillige einen Freiwilligendienst geleistet oder stecken noch mittendrin. Die junge Kamerunerin Della ist nun seit ein paar Monaten wieder zurück in ihrem Heimatland und reflektiert mit uns ihre Erfahrungen aus einem Jahr Freiwilligenarbeit in Deutschland.

EG: Welche Erfahrungen haben dich während deiner Zeit in Deutschland am meisten geprägt?

Della Bii-Mai: Mein Aufenthalt in Deutschland war voll gemischter Erfahrungen, Gefühle und Emotionen – beginnend bei meinem Arbeitsalltag bis hin zum Leben in einer Gastfamilie. Vor allem hat mir gefallen, Teil einer anderen Arbeitskultur zu sein, in der man Meinungen und Ideen mit anderen Menschen austauschen konnte. Sei es bei Workshops, Konferenzen oder Foren, an denen ich während meiner Zeit in Potsdam teilnehmen durfte. Aber auch der Austausch mit anderen Freiwilligen hat mich sehr geprägt. Wir waren eine internationale Familie - haben zusammen gelacht und geweint, unsere Ängste und Hoffnungen geteilt - das hat uns sehr zusammengeschweißt. Es freut mich, Teil einer so vielfältigen und auf der Welt verstreuten Familie zu sein.

EG: Welche Erwartungen hattest du an deinen Freiwilligendienst und haben sich diese in deiner Zeit bei der Stiftung Partnerschaft mit Afrika e.V. in Potsdam erfüllt?

Della Bii-Mai: Zugegebenermaßen war mein Arbeitsleben nicht immer perfekt. Ich habe gleichzeitig in zwei Organisationen gearbeitet und gehofft, mich umfassend an organisatorischen Projekten und Aktivitäten beteiligen zu können. Dies war aufgrund der Sprachbarriere und anderen persönlichen Herausforderungen nicht immer möglich. Ich habe aber einen guten Einblick in die deutsche Arbeitskultur und den Aufbau von Netzwerken bekommen. Zudem konnte ich Erfahrungen in der Projektplanung und Umsetzung sammeln.

EG: Was waren deine größten Herausforderungen?

Della Bii-Mai: Die deutsche Sprache war auf jeden Fall eine Herausforderung. Ich hatte zuvor nicht erwartet, dass das Deutschlernen eine permanente Herausforderung während meines 13-monatigen Aufenthalts sein würde. Außerdem hatte ich zeitweise Schwierigkeiten mit meiner Wohnsituation. Während meiner Zeit in Potsdam habe ich insgesamt in drei verschiedenen Gastfamilien gelebt – in einer deutschen Familie, in einer deutsch-italienischen Familie und in einer kamerunischen Familie. Sie können sich vorstellen, wie schwierig es ist, sich alle zwei Monate in einer neuen Familie anpassen zu müssen – auch wenn es sehr nette Familien waren.

EG: Du bist nun bereits seit vier Monaten wieder zurück in Kamerun. Wie sieht dein Alltag derzeit aus?

Della Bii-Mai: Mittlerweile fühlt es sich so an, als sei ich nie weg gewesen. Bei meiner Rückkehr wurde mir klar, wie kurz sich 13 Monate anfühlen können. Zurzeit arbeite ich in einer Organisation und in Projekten für meine Gemeinde. Die Projekte fokussieren sich auf die Bereitstellung von humanitärer Hilfe für bedürftige Einzelpersonen und Gemeinschaften. Meine Region befindet sich bereits seit über zwei Jahren in einer politischen Krise, und die Bedürfnisse der Menschen ändern sich. Aus meiner Zeit in Deutschland habe ich neue Ideen, Ansätze und Arbeitsgewohnheiten mitgenommen, die ich in meine Gemeindearbeit einbringen kann.

Beginn einer außergewöhnlichen Lernerfahrung

Im Gegensatz zu Della Bii-Mai, die ihren weltwärts-Freiwilligendienst bereits abgeschlossen hat, ist Armen Hakobyan erst seit Mitte Oktober 2018 in Deutschland. Der 25-jährige Armenier aus Gjumri wird seinen Einsatz in der Kindertagesstätte Lönsweg in Göttingen, Niedersachsen, absolvieren.

EG: Aus welchen Gründen hast du dich entschieden, deinen Freiwilligendienst in Deutschland und in der Kindertagesstätte Lönsweg in Göttingen zu machen?

Armen Hakobyan: In Armenien habe ich im Informationszentrum des Ausschusses zur Tourismusentwicklung gearbeitet. Zu meiner täglichen Arbeit dort gehörte unter anderem auch die Kommunikation mit Menschen unterschiedlichster Herkunft und Kultur. Wir hatten auch viele Touristen aus Deutschland. Deshalb wollte ich durch das weltwärts Süd-Nord-Austauschprogramm das Leben in Deutschland kennenlernen. So gewinne ich Wissen und Erfahrungen. Für den Einsatz in einer Kindertagesstätte habe ich mich entschieden, weil ich mehr über das Themenfeld Pädagogik lernen möchte. Von Kindern kann man viel lernen - besonders Sprache.

EG: Mit welchen Erwartungen beginnst du deinen Freiwilligendienst?

Armen Hakobyan: Ich hoffe, dass mir die Kenntnisse und Erfahrungen, die ich durch weltwärts machen werde, bei meiner zukünftigen Arbeit in der Tourismusbranche in Armenien behilflich sein werden. Besonders nützlich werden mir die verbesserten Sprachkenntnisse sein. Sprache spielt heutzutage eine wichtige und große Rolle. Außerdem freue ich mich, Kontakte zu knüpfen und neue Freunde zu gewinnen.

EG: Worin siehst du die größte Herausforderung?

Armen Hakobyan: Mir fällt es schwer, so weit von meiner Familie entfernt zu sein. Aber dank Internet kann man mittlerweile jeden Tag miteinander sprechen.

Kurzbiographien

Dr. Jens Kreuter

Dr. Jens Kreuter

Dr. Jens Kreuter ist Jurist und Theologe. Von 2006 bis zur Aussetzung des Wehr- und Zivildienstes war er der Bundesbeauftragte für den Zivildienst. Anschließend steuerte er den Aufbau des Bundesfreiwilligendienstes und des Internationalen Jugendfreiwilligendienstes sowie den Ausbau der Jugendfreiwilligendienste im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Seit 1. Februar 2015 ist Dr. Jens Kreuter Geschäftsführer der Engagement Global gGmbH – Service für Entwicklungsinitiativen.

Della Bii-Mai

Della Bii-Mai

Della Bii-Mai war die 1000. Süd-Nord-Freiwillige und absolvierte einen weltwärts Freiwilligendienst bei der Stiftung Partnerschaft mit Afrika e.V. in Potsdam. Nach ihrer Rückkehr nach Kamerun ist sie dort nun wieder in der Gemeindearbeit aktiv und unterstützt bei der Bereitstellung von humanitärer Hilfe für bedürftige Einzelpersonen und Gemeinschaften.

Armen Hakobyan

Amer Hakobyan

Armen Hakobyan ist 25 Jahre alt und stammt aus Gjumri, einer Stadt in Armenien. Seit Mitte Oktober 2018 absolviert Armen einen weltwärts Süd-Nord-Freiwilligendienst in der Kindertagesstätte Lönsweg in Göttingen.

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