Warum es so wichtig ist, rassismuskritisch denken zu lernen

Tupoka Ogette 0 Antirassimus Internationale Wochen gegen Rassismus

Rassismus ist in allen Bereichen der Gesellschaft verankert, über ihn zu sprechen fällt oft schwer. Tupoka Ogette ist Anti-Rassismus-Expertin, leitet Trainings und Workshops zum Thema und redet darüber, warum es so wichtig ist, rassismuskritisch denken zu lernen. In einem Interview hat sie uns fünf Fragen beantwortet.

Tupoka Ogette Rassismus-Expertin

1. Angesichts der aktuellen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen nach rechts: Was gibt Ihnen persönlich die Kraft, sich als Aktivistin für mehr rassismuskritisches Denken und Diskriminierungssensibilität einzusetzen und weiterzumachen?

Ehrlich gesagt gibt es solche und solche Tage. Die Entwicklungen in letzter Zeit und die Zuspitzung in dem schrecklichen Attentat in Hanau ist für von Rassismus Betroffene Menschen und Menschen, die sich beruflich mit Rassismuskritik und auch Rechtsextremissmus-Prävention auseinandersetzen keine Überraschung. So traurig das ist. Seit Jahren warnen wir davor. Wir warnen davor, dass diese Polarisierung der Gesellschaft, dieses „was darf ich denn noch sagen“, der Nährboden für derartige Horrortaten sind. Es war also schon ein herber Schlag und natürlich macht es mir auch persönlich Angst. Ich habe Söhne, die auch an so einem Ort wie einer Shishabar hätten sein können.

Und gleichzeitig weiß ich eben auch: Rassismuskritik und die Rekonstruktion eines rassistischen Systems sind ein Marathon und kein Sprint. Es ist immer ein Schritt voran und drei zurück. Daher kommt - auch nach einem so großen Tiefschlag - die Hoffnung bei mir zurück, auch wenn es diesmal ein bisschen länger gedauert hat.

2. Sind rassismuskritisch und rassismussensibel für Sie Synonyme oder sollten die Begriffe unterschieden werden?

Es ist wichtig, beides zu sein oder zu werden, denke ich. Sensibel für rassistische Strukturen, verinnerlichten Rassismus bei sich selbst oder bei Anderen, sensibel dafür, was Sprache für eine Macht haben kann. Und gleichzeitig eine kritische Haltung Rassismus gegenüber stärken und entwickeln. Nicht nur dem offensichtlichen Rassismus gegenüber, also Hasstaten und Übergriffen. Auch dem Rassismuss, der schleichend und vermeintlich harmlos daherkommt. In Kinderbüchern, in Witzen, in eigenen Gedanken.

3. Sie beschreiben in Ihren Analysen, dass rassistisches Denken in der Mitte der Gesellschaft verankert ist. Wo sehen Sie in diesem Zusammenhang die Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit?

Rassistisches Denken ist Teil unserer gesamten Struktur als Gesellschaft. Es ist Ideologie, Struktur und es wirkt prozesshaft. Dementsprechend ist zu allererst einmal kein Individuum und keine Institution frei von Rassismus. Wir sind alle rassistisch sozialisiert. Bei entwicklungspolitischen Institutionen sehe ich zwei Besonderheiten. Einerseits ist die Geschichte des Rassismus immanent mit der Existenz von entwicklungspolitischen Institutionen verknüpft. Menschen, Organisationen und Länder des globalen Südens müssten nicht „entwickelt“ werden, wenn es die Ausbeutung durch den transatlantischen Sklavenhandel und die danach Folgende Kolonialzeit nicht gegeben hätte. Allein der Gedanke von „entwickelt“ versus „nicht-, oder unter-entwickelt“ ist ein Produkt des Dualismus, der rassistische Theorien legitimiert hat. Entwicklungspolitik ist nicht selten Teil von neolokonialen Strukturen.

Andererseits herrscht aber gerade in Entwicklungsorganisationen oft das Selbstverständnis, besonders Gutes zu tun und damit auch zu den besonders Guten zu gehören. Vor allem zu denen, die absolut nicht rassistisch sein können.

Diese beiden Dinge passen leider schlecht zusammen, wenn es dann um rassismuskritische Selbstreflexion gehen soll, da diese Forderung dann nicht selten große Abwehr auslöst oder gar eine rassismuskritische Auseinandersetzung ganz verhindert.

4. Welche Maßnahmen sollten Organisationen aus dem Bereich der Entwicklungszusammenarbeit ergreifen, damit ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter rassismus- und diskriminierungskritisch handeln?

Externe Berater*innen einladen. Und sich gesamtinstitutionell so schnell und so intensiv wie es nur geht, in die rassismuskritische Arbeit stürzen. Und dies am besten top-down. Meine Erfahrung ist, wenn die Führungsetage mit gutem Beispiel vorangeht, dann ist es für alle in der Institution viel leichter und nachhaltiger. Mit „gutem Beispiel“ meine ich hier drei Dinge: Die Wichtigkeit von Rassismsukritik der Institution zu priorisieren. Sich selbst verletzlich und selbstkritisch zeigen. Ressourcen dafür bereitstellen und nicht nur Worte. Ich denke, vor allem an Punkt zwei und drei mangelt es oft. Wichtig wäre es auch, eine Art Leitfaden oder Selbstverpflichtung zu entwickeln. Und dies als „lebendes“ Dokument, also ein Dokument war immer wieder evaluiert wird.

Regelmäßige Räume für Empowerment und Critical Whiteness für alle Mitarbeiter*innen wären zum Beispiel Bestandteil eines solchen Leitfadens.

5. Was bedeutet es, rassistisch zu handeln? Was sind Ihre wichtigsten Tipps für Weiße, die nicht rassistisch handeln wollen?

Also ich unterscheide da ganz klar zwischen bewussten und gewollten rassistischen Aussagen oder Handlungen und unbewussten Intention. Bei bewussten rassistischen Handlungen bin ich die falsche Ansprechperson. Ich denke, da sollte als Institution aber auf jeden Fall immer und konsequent gehandelt werden.

Rassistisch zu handeln ist sonst leider eher die Norm als die Abweichung. Es ist Teil unserer Sozialsierung. Diese Erkenntnis ist zwar traurig und oft auch erschreckend aber gleichzeitig eben auch wichtig und der erste Schritt, um Rassismus überhaupt demonstrieren zu können.

Ansonsten kann ich es nicht oft genug sagen: Rassismuskritisch denken lernen. Die eigene Sprache aus rassismuskritischer Sicht analysieren und anpassen. Eigene Denkmuster auf rassistische Inhalte überprüfen. Das Wahrnehmen ist ein wichtiger erster Schritt dabei. Man muss sich nicht gleich verurteilen dafür aber es bewusst wahrnehmen ist wichtig. Sich mit anderen weißen Menschen über das Erlernte austauschen. Schwarzen Menschen und People of Color zuhören und von ihrer Perspektive lernen. Ein ganz wichtiger weiterer Punkt ist auch der, dass weiße Menschen einen Umgang mit dem Konzept der white fragility finden sollten.

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